Sie sitzt an einer Bar und trinkt Wodka Orange, wie Truman Capote
seinerzeit. Das Glas das vor ihr steht ist klein, schmal und gibt’s bei Ikea zu
kaufen. Ihr Oberkörper bewegt sich ganz leicht vor und zurück, während
ihr Blick das Glas fixiert. Je nach Lage erscheint ihr Kopf riesig groß, oder
winzig klein. „Kannst du mal aufhören zu wackeln.“ Sagt ihr Freund neben
ihr. Sie schiebt das Glas von sich weg. Es stinkt nach abgestandenen
Zigaretten Rauch hier. Außerdem macht ihr die Heizungsluft zu schaffen.
Sie möchte gerne gehen. Ihr Freund drückt sie zurück auf den Barhocker.
„Hier bleiben! Dich bekommt man ja überhaupt nicht mehr zu Gesicht.“ Ihr
Po landet auf der vorgewärmten Stelle. Ein Beweis ihrer Existenz. Na gut.
Dann fällt ihr Oberkörper in sich zusammen. Weil er das grundsätzlich
gerne macht, vor allem auf einem Barhocker. Sie muss aussehen wie ein
trauriger Mensch, wie eine kleine zerschlagene Seele. Wie kann man gerade
auf einem Barhocker sitzen fragt sie ihren Freund. Wie können Leute
kerzengerade auf einem Barhocker sitzen. Was sind das für Menschen? Ja,
sagt ihr Freund, was sind das für Menschen? Die Nacht zuvor hatte sie sich
beim lesen im Bett aus versehen mit heißem Tee das Dekolte verbrannt.
Jetzt streicht sie mit ihrem rechten Zeigefinger über die verbrannte Stelle.
Es reizt sie immer wieder über die Wunde zu fahren. Der Barmann schaut
sie an. Er hat offensichtlich seine Haare bleichen lassen. Seine Haare
werden brechen und schließlich ausfallen denkt sie. Sie sieht wie er eine
Zitrone aufschneidet, eine Scheibe davon in ein Glas wirft und ihr dabei
zugezwinkert. In Zeitlupe sieht sie die Zitrone in das Glas fallen. Später,
wenn der Moment gekommen ist, wird sie elegant ihre Zitronenscheibe aus
ihrem Glas holen, sie sich zwischen die Zähne schieben und das
Fruchtfleisch geschickt vom Rand trennen. Und während sich das
Zitronenaroma in ihrem Mund breit macht, wird sie den Barmann
anschauen, als ginge es um ihrer beider Leben, um Alles, oder Nichts.
Hahaha. Warum lachst du denn jetzt, hörst du mir überhaupt zu? Fragt ihr
Freund. Klar sagt sie. Er bereue nichts und alles was er mit diesen Frauen
erlebt habe kommt in sein Buch. Sie haben ihn gequält, er hat sie gequält. Es
ist wie es ist, am Ende des Tages brennen sich allein die Schreckensbilder in
unser Gedächtnis. Letztlich muss jeder durch diesen Käse durch. Sie nickt
bestätigend mit dem Kopf. Dann gehen sie vor die Tür. Frische Luft
schnappen. Sie stehen unter einem kleinen dicken Mann mit Säbel und
rauchen. Wilhelm der Erste: „Ich habe keine Zeit müde zu sein.“ Vier
Attentate hat der kleine dicke Mann überlebt. Sie holt ihr Telefon raus und
versucht ihn zu fotografieren. Ohne Blitz sieht man in der Dunkelheit nichts.
Mit Blitz sieht es nicht gut aus. Sie kann nicht fotografieren was sie sieht,
was irgendwie beruhigend ist. Autos rasen die Torstrasse entlang. „Ich will
nicht mehr denken“ sagt der junge Mann auf dem Dach eines Hochhauses
und springt. Wie kommt sie jetzt auf diesen Zeitungsartikel? Sie hat kalte
Hände und tippelt von einem auf den anderen Fuß. Sie will ihre kalten
Hände loswerden. „Steck sie doch einfach in deine Manteltaschen.“ Sagt ihr
Freund. Ich rauche doch gerade sagt sie. Ja, dann wenigstens eine von
Beiden. Sie steckt ihre linke Hand in ihre Manteltaschen. Wenig später
schnippen sie ihre Kippen auf die Strasse und gehen wieder in den Laden
rein. Zurück auf die Barhocker. Die rechte Hand von ihrem Freund stützt
ihren müden Kopf. Dann beobachten sie eine Gruppe von Frauen. Gut
aussehende Frauen. Roter Lippenstift auf vollen Lippen. Sind das
Freundinnen, oder gehen die miteinander ins Bett? Das eine schließt das
andere ja nicht aus, sagt ihr Freund. Eine kühle blonde mit Pagenkopf
schaut zu ihr rüber. Kein Mann, eine Frau denkt sie plötzlich. Warum nicht.
Auf die Idee ist sie noch gar nicht gekommen. Sie bestellen nach. Zum
Wohle, Prost! Wann hatten sie und ihr Freund sich eigentlich geküsst?
Wann war das noch mal? Das ist eine Ewigkeit her. Jahrzehnte. Sie
überlegen. 2008 nach Ihrer Geburtstagsfeier. Alle waren gegangen. Und da
standen sie. Müde. Übriggeblieben. Jetzt waren sie gute Freunde. Sie bestellt
sich noch einen Wodka Orange nach. Dann rutscht sie umständlich von
ihrem Barhocker und läuft auf die Toilette. Der Alkohol ist längst in ihrem
Blut angekommen. Ihr ist nicht mehr kalt. Weiße Kacheln. Neonlicht. Es
ging ihr schon mal besser. Auf dem Rückweg zu ihrem Barhocker denkt sie
an das Gefühl das sie oft als Kind hatte, das eine unbekannte Macht sie
einfach ins All zieht. Sie krallt sich an ihrem Barhocker fest während ihr
Freund von dem Schrecken und der Ohnmacht erzählt sein Haar allmählich
lichter werden zu sehen. Sie bemerkt sein Profil und auch den starken Blick
unter diesen skeptischen Augen. Ihr Freund stellt sich plötzlich vor, wie er
in die Bar läuft und allen sagt, wie erbärmlich sie sind. Warum nicht gleich
alle abknallen? Ja, warum eigentlich nicht. Während ihr Freund seinem
Hass freien Lauf lässt, überlegt sie sich tätowieren zu lassen. So etwas wie
einen lustigen Vogel mit Hut. Gerade denkt sie, vielleicht wird der Abend ja
doch noch ganz lustig, da klingelt ihr Telefon. Ihre Babysitterin. Sie umarmt
ihren Freund wünscht ihm noch viel Spaß und schwankt aus der Bar. Wenig
später streicht sie ihrem Sohn die verschwitzten Haare aus der Stirn und
schläft dicht neben ihm ein.
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