Ich rase auf dem Fahrrad durch die Stadt. Die kalte Winterluft kracht mir ins Gesicht. Kunst, denke ich, könnte das Einzige sein, was mich beruhigt. Und ich trete eifrig in die Pedalen in Richtung König Galerie. Endlich raus aus der Mutterhölle. Raus aus der Beschallung und Dauerbeschlagnahme mit quasi null Freigängen. Und sogleich spüre ich die Hufen meines Zentauren auf die Pedalen schlagen. Ich fahre durch die nervöse Stadt, immer weiter und weiter, bis ich bemerke, dass ich im Kreis fahre und wiederholt die falsche Abbiegung nehme. Ich hatte noch nie eine gute Orientierung. Vermutlich fahre ich aus mehreren Gründen so planlos und getrieben. Zunächst, weil ich vergessen will, dass es meinem Bruder nicht gut geht, den ich liebe und der sich nicht helfen lassen will. Scheiße, sage ich laut an einer Ampel lehnend, was bei dem Verkehrslärm sowieso keiner hört. Und selbst wenn, wäre es ja auch egal. Außerdem ärgere ich mich, weil ich keine Förderung für meinen Film bekomme, mit dem ich mich seit Jahren rumschlage. Also noch immer nicht aus der finanziellen Abhängigkeit von meinem Partner rauskomme. Meine Kinder wollen zudem ständig etwas von mir. Ständig zieht jemand an mir rum. Mein Herz, my Soul und meine Lenden schreien in dieser mir einzig bekannten und völlig aus der Spur geratenen Welt nach maximaler Befreiung. Einer Befreiung, die es in sich hat. Ich denke an einen französischen Film bei dem Frau Beatrice Dalle ihre Zähne in das Fleisch von Männern schlägt. Sie beißt an ihnen rum und saugt ihnen leidenschaftlich das Blut aus. Das muss etwas mit einer unstillbaren Sehnsucht zu tun haben, dem Verlangen, sich in jemanden einzugraben, während man sich gleichzeitig dabei verliert. Aber was hat das jetzt mit Befreiung zu tun? Ich weiß es nicht. Sicher hat das Ganze aber mit einem Trieb zu tun, der völlig aus der Mode gekommen ist. Vor allem bei Frauen. Ich schätze, kulturell bedingt. Und dann denke ich an die zurückliegende Nacht, in der ich kaum geschlafen habe und der Vollmond irgendetwas mit meinem Wasser im Körper angestellt hat. Ich träumte, ich hätte was mit Lars Eidinger.Oje, höre ich meinen lieben Freund Alexander ausrufen. Jedenfalls wurde aus dieser intensiven Begegnung schließlich eine verausgabende Angelegenheit, die am Ende prima erquickend war. Mein Geist leuchtete, und mein Körper war heiß und vibrierend,. Ich erinnere seine Stahlblauen Augen, die mich anschauten und mit einem weltfremden Glanz fragten: Wer bist du? Natürlich hat er dabei eine Träne vergossen. Jetzt stehe ich also in einer langen Reihe vor der König Galerie und schreibe mit lahmen, eiskalten Daumen, während mir wildes Zeugs durch den Kopf geht. Galoppierende Antilopen und Wildgeruch zum Beispiel. Als Nächstes stelle ich mir Johann K. vor, wie er lässig an der Schlange vorbeiläuft, vor mir stehen bleibt, kurz auf die Knie fällt und mich an der Hand durch seine Räume führt. Wir genehmigen uns einen Crémant und ein Zigaretten und reden über Kunst und über unsere Gefühle. Yeah, sagen wir gleichzeitig und lachen ein bisschen seltsam, bevor wir uns eine Ghettofaust geben und freundlich voneinander verabschieden. Inzwischen habe ich also die Zeit des Wartens mit irrsinnigen Gedanken überbrückten zeige am Eingang meinen Impfstatus und meinen Personalausweis. Mein tauber Daumen hätte ohnehin nicht weiterschreiben können. Wer hätte gedacht, dass ich irgendwann mit meinem rechten Daumen schreibe? Ich bin drinnen und schaue mir die digitale Kunst an. Das ist schön, aber es macht leider nicht viel mit mir. Mich beeindrucken hier eher die Räume. Ich streife einmal von A nach B und wärme mich ein bisschen auf. Kurz habe ich den Gedanken, nackt an der groben Kirchenwand entlangzuschrubben und mich ein bisschen gehen zu lassen. Keine Ahnung, wo der Gedanke wieder herkommt, aber er bereitet mir Freude. Schließlich wird meine animalische Natur seid Jahren unterdrückt. Ich lasse es aber dann und schwinge mich stattdessen wieder auf mein Fahrrad zurück in Richtung Family. Allein der kurze Ausflug hat mir gutgetan. Ich kann wieder atmen und stelle zufrieden fest, dass zumindest meine Fantasie mir geblieben ist nach all den Jahren der Selbstaufgabe namens Mutterschaft. Wenn ich damit jetzt auch noch Geld verdienen könnte, wäre das natürlich phänomenal. Zunächst einmal schließe ich meinen Zweijährigen in die Arme. Er riecht gut, ist warm und grinst mich, wenn auch etwas diabolisch, an.
König Galerie
Aktualisiert: 26. Aug. 2022